Pianonews 06 / 2023

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Plädoyer für den Wandel

Cédric Tiberghien

Von: Marco Frei

Schon vor rund 20 Jahren hatte er beim Label Harmonia Mundi eine Aufnahme vorgelegt, die das Gestaltungsprinzip der Variationen Beethovens reflektierte. Nun hat Cédric Tiberghien eine umfassende Trilogie mit insgesamt sechs CDs gestartet, die die Variationen-Zyklen von Beethoven in einen zeitlich und stilistisch größeren Kontext rücken: von der Renaissance bis in die Gegenwart. Der Auftakt ist bereits erschienen, am 12. Januar 2024 soll der zweite Teil folgen. Was steckt dahinter? Zum Gespräch wurde Ende Mai nach Berlin geladen, wo der französische Pianist mit den Berliner Philharmonikern unter Simone Young die „Turangalîla-Symphonie“ von Olivier Messiaen gestaltete.

PIANONews: Herr Tiberghien, was möchten Sie mit der Variationen-Trilogie ausdrücken?

Cédric Tiberghien: Es geht mir um die Art und Weise, wie man auf ein musikalisches Objekt blickt. Das war im Kern der Sinn dieses Projekts. Wenn man ein musikalisches, klingendes Objekt hat, kann man es auf eine bestimmte Weise betrachten – wie auch in der Skulptur oder Malerei. Man kann es umdrehen, von oben betrachten, aus der Ferne oder von sehr nah. Dadurch ändert sich stets die Perspektive. Das ist sehr spannend, weil man Details in den Fokus rücken kann oder das Ganze. Beides ist spannend, eröffnet aber völlig andere Wahrnehmungen – und einen neuen, anderen Sinn des Werks. Man erhält jeweils andere Informationen über ein und dasselbe Werk. Genau das lebt im Grunde die Variation, und das wollte ich mit einem breiten Publikum teilen.

PIANONews: Sie möchten generell den Bogen von der Alten zur Neuen Musik spannen. Der Auftakt koppelt jedoch Beethoven mit Wolfgang Amadeus Mozart und Robert Schumann und endet mit Anton Webern. Wieso?

Cédric Tiberghien: Weil Anderes bald folgt. Es konnte nicht schon im aktuellen Band erscheinen, weil ich eine Auswahl treffen musste. Für die ersten zwei CDs wollte ich unbedingt die „Eroica-Va-riationen“ von Beethoven integrieren. Es ist für mich persönlich ein sehr wichtiges Werk. Als Teenager hatte ich bereits damit begonnen, mich mit diesem Zyklus auseinanderzusetzten. Es ist für mich gewissermaßen das Zentrum von allem.

PIANONews: Mit welcher Konsequenz?

Cédric Tiberghien: Die erste der zwei CDs dieses Auftakts ist gewissermaßen freundlich, weil ich die „Eroica-Variationen“ mit weiteren Variationen von Beethoven sowie Mozart kopple – bekannte Werke. Für die zweite CD des Doppelalbums gefiel mir die Variations-Etüde von Schumann über das Thema aus dem zweiten Satz der Sinfonie Nr. 7 von Beethoven sehr gut. Das ergab für mich sehr viel Sinn und war reizvoll, und zu Schumann passt für mich Webern. Ich liebe seine Variationen
Op. 7 …

PIANONews: … Die inzwischen auch schon über hundert Jahre alt sind.

Cédric Tiberghien: Ja, das ist keine zeitgenössische Musik mehr, aber manche Menschen fürchten sich noch immer etwas davor. Als ich dieses Werk einmal im Konzert gespielt hatte, stand in einer Kritik: „Über den Webern schreibe ich nicht, weil ich das Stück nicht wirklich leiden kann.“

PIANONews: Wie bitte? Dieses reaktionäre Urteil kann nur aus den USA oder Großbritannien stammen.

Cédric Tiberghien: Nein, das war in Frankreich. Auch deswegen wollte ich unbedingt diesen Webern auf der ersten Doppel-CD haben. Ja, es war nicht einfach zu entscheiden, in welcher Reihenfolge dieser erste Teil stehen und was er überhaupt beinhalten sollte. Ich wollte, sozusagen, ein starkes Eingangstor. Der folgende zweite Teil wird herausfordernder.

PIANONews: Nämlich?

Cédric Tiberghien: Er wird den niederländischen Renaissance-Meister Jan Pieterszoon Sweelinck beinhalten, auch Johann Sebastian Bach, aber nicht die „Goldberg-Variationen“, sondern die „Aria variata“ BWV 989. Ich möchte damit aufzeigen, was die Variation vor Beethoven war. Natürlich ist das ein weites Feld, aber ich wollte die Tasten-Virtuosität demonstrieren. Ich hatte auch an William Byrd gedacht oder Orlando Gibbons, aber Sweelinck und Bach fand ich dann doch besser. Es zeigt, wie sehr Beethoven von diesen virtuosen Handschriften beeinflusst war: wie eine im Grunde kurze Sequenz stets in anderem Gewand wiederholt wird. Auf der zweiten CD des zweiten Teils sind zudem George Crumb, Morton Feldman und John Cage vertreten.

PIANONews: Das haben Sie auch schon in Berlin im Konzert gemacht.

Cédric Tiberghien: Richtig. Mir ist wichtig, dass es eben nicht nur um Werke geht, die explizit Variation im Titel heißen. Es geht vielmehr um die Idee, was Variationen sind. Bei Feldman gewinnt man zum Beispiel schnell den Eindruck, dass jede einzelne Note die vorige variiert oder gar die Stille. Oder nehmen Sie die wiederholten Noten bei Crumb: Es ändern sich stets kleine Details. Man mag diesen Wandel nicht unmittelbar wahrnehmen, aber er ist allgegenwärtig – fast schon wie eine akustische Illusion. Ich mag das sehr, und dasselbe gilt für „In a Landscape“ von Cage. Er nutzt stets dieselben sechs Noten und erschafft doch einen Fluss, der sich ständig ändert. Für mich war dies gewissermaßen die amerikanische Art, mit dem Prinzip der Variation umzugehen.

PIANONews: Trotzdem dreht sich bei Ihrer Variationen-Trilogie alles um Beethoven.

Cédric Tiberghien: Er steht im Zentrum, auch weil er im Grunde wie ein zeitgenössischer Komponist heute arbeitet. Er nimmt die Musik quasi wie ein Objekt und bearbeitet es wie eine Skulptur. Ich wollte die Hörenden gewissermaßen in seine Küche des Komponierens führen. „Kommt und schaut, wie das gemacht ist.“ Dafür muss ich auch Vor- und Ausblicke integrieren, die dazu passen.

PIANONews: Wobei im ersten Teil die ebenfalls vertretenen „Geister-Variationen“ von Schumann im Grunde noch zeitgenössischer wirken als Beethoven, zumal sich viele lebende Komponisten mit ihnen beschäftigt haben. Man denke nur an Heinz Holliger oder Salvatore Sciarrino.

Das gesamte Interview mit Cédric Tiberghien lesen Sie in der Ausgabe 6-2023 von PIANONews.

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