Pianonews 06 /2003
Meister der Transkription
EARL WILD
Von: Carsten Dürer
Seine 88 Jahre merkt man ihm nicht an. Earl Wild ist von großer Statur, absolut kerngesund und in großartiger körperlicher Verfassung. Als wir ihn während des „International Keyboard Institute und Festival“ am Mannes College of Music in New York trafen, bereitete er sich gerade mit einer fast vierstündigen Probe auf ein Konzert am kommenden Abend vor. Zudem gab er einen Tag darauf eine Meisterklasse über den gesamten Nachmittag. Von Müdigkeit keine Spur. Wild war Schüler von Egon Petri und studierte zudem bei Selmar Jason, einem Schüler von Eugen d’Albert und Xaver Scharwenka. Während Earl Wild in den USA immenses Ansehen genießt, ist er in Europa fast unbekannt, da er seit Ende des Zweiten Weltkrieges nur selten in die „Alte Welt“ reiste. Erst seit seine alten Aufnahmen aus den 50er Jahren in der Serie „Great Pianists of the 20th Century“ wieder veröffentlicht wurden, erlangte er neue Anerkennung. Doch Earl Wild ist einer der Pianisten, die – neben einer großen Konzertlaufbahn – vielleicht am längsten auf eine erfolgreiche Schallplattenkarriere zurückblicken können, die bereits 1939 für RCA begann. In seinem Konzert am Abend nach dem Interview, in dem er Mozart, Liszt und Chopin spielte, zeigte er, wie bravourös seine Technik, sein Gespür für die Musik, die Rhythmik und den richtigen Zugang zur Tiefe der Werke ist.