PIANONews 2 / 2024

PIANONews 2 / 2024

LESEPROBE:

Das Klavier als Instrument der Kommunikation

Alexander Lonquich

Von: Carsten Dürer

Alexander Lonquich (* 1960) ist ein Pianist mit einem ungewöhnlich breiten musikalischen Horizont. Er beherrscht den Hammerflügel ebenso gut wie den modernen Flügel, sein Repertoire reicht von Bach bis zur Gegenwart – Kammermusik inbegriffen. Und wenn ein Klavierkonzert auf dem Programm steht, dann kann man ihn auch schon einmal als Pianist und Dirigent in Personalunion erleben. Erst kürzlich hat er in dieser Doppelfunktion mit dem Münchner Kammerorchester alle fünf Beethoven-Konzerte aufgeführt. Beim Label ECM ist gerade eine CD-Edition mit den Live-Mitschnitten in Vorbereitung. Als Lonquich einmal mit der Deutschen Bahn im ICE von Köln nach Hannover reiste, um dort mit seinem Sohn, dem Klarinettisten Tommaso Lonquich, ein Konzert zu geben, reisten wir einfach mit. Der Speisewagen des Zuges erwies sich dabei als erstaunlich interviewtauglich.


Vater und Schubert

PIANONews: Als alteingesessenem Kölner ist mir der Name Lonquich natürlich sehr vertraut. Ihr Vater Heinz-Martin Lonquich war ja eine bekannte Musikerpersönlichkeit in Köln und über Köln hinaus. Aber damit war vermutlich auch Ihre Laufbahn, Herr Lonquich, gewissermaßen schon vorprogrammiert.

Alexander Lonquich: Ja, natürlich. Ich war der Erstgeborene. Bei uns zu Hause wurde seit Ewigkeiten Musik gemacht. Auch viel Neue Musik übrigens. Das hat das Klangspektrum gleich immens erweitert. Ich habe mich dann gleich in die Musik verliebt, und mein Vater hat mir – ich war 5 oder 6 Jahre alt – die ersten Klavierstunden gegeben. Ich kam dann zwei Jahre später zu Astrid Schmidt-Neuhaus – das ist die Nichte von Heinrich Neuhaus. Aber vor allem der Anfangsunterricht bei meinem Vater war sehr wichtig, weil es sofort nur um Musik ging, beispielsweise Phrasierung, Nebenstimmen, Mittelstimmen, also vieles, das Anfänger nicht gleich mitbekommen. Mein Vater befand sich als Komponist gerade in einer experimentellen Phase, studierte damals bei Bernd-Alois Zimmermann. Das fand ich alles ziemlich aufregend.

PIANONews: Er muss aber auch ein guter Pianist gewesen sein.

Alexander Lonquich: Ja, das war er. Er hatte so einen ganz natürlichen Zugang zum Klavier, der mich sehr geprägt hat. Er war ja auch Korrepetitor am Theater und hat permanent Opernpartituren studiert und gespielt. Das war ja eigentlich das Erste, was ich mitgekriegt habe. Deshalb war für mich später auch das Vom-Blatt-Spielen so wichtig.

PIANONews: Dann sind Sie ja vermutlich ein guter Vom-Blatt-Spieler, was man nicht von jedem Pianisten behaupten kann.

Alexander Lonquich: Ich glaube schon. Das lief ganz automatisch: Er hat es vorgemacht, und ich habe es einfach nachgemacht. Ich habe dann auch selbst improvisiert. Das war alles schon in dieser Frühphase angelegt.

PIANONews: Danach kamen schon relativ früh die ersten Wettbewerbsfolge.

Alexander Lonquich: Ja. Der wichtigste war zweifellos der Wettbewerb Alessandro Casagrande. Das war 1977, und der Wettbewerb war ausgerechnet Franz Schubert gewidmet, den ich gerade für mich entdeckt hatte. Das war auch der Moment, an dem ich anfing, regelmäßig Konzerte zu geben. Ich hatte natürlich schon vorher Konzerte gegeben, aber das war der Moment, ab dem man vom Beginn einer Art von Karriere sprechen kann. Schubert war in dem Moment auch eine besondere Entdeckung, weil zumindest die Sonaten noch relativ wenig gespielt wurden. Alfred Brendel und Swjatoslaw Richter waren die Ausnahme von der Regel. Aber für meine Generation war das eine Neuentdeckung. Auch der dunkle Aspekt der Schubert’schen Musik wurde damals gerade zum ersten Mal systematisch wahrgenommen. Das hat mich als aufwachsenden Jungen doch sehr gepackt, zumal ich schon immer eine große Beziehung zu Gustav Mahler hatte.

PIANONews: War das nicht auch die Zeit, als man heftig über Richters extrem gedehnte Interpretation der B-Dur-Sonate diskutierte?

Alexander Lonquich: Ja, das war das erste Mal, dass ein Schubert-Werk radikal anders gesehen wurde.

PIANONews: Wenn Sie in den späten 1970er Jahren zu den Schubert-Interpreten dazugestoßen sind, dann waren Sie ja aktiv an der Schubert-Renaissance beteiligt.

Alexander Lonquich: Ja, es hat mich wirklich gepackt. Ich bin dann eine gewisse Zeit mit der c-Moll-Sonate und einigen anderen späten Sonaten herumgereist. Für das Debüt-Album bei der Deutschen Grammophon habe ich die a-Moll-Sonate D 845 gewählt – zusammen mit Schönbergs drei Klavierstücken Op. 11.

PIANONews: Eine sehr stimmige Kombination, denn auch Arnold Schönberg war ja Wiener. Aber irgendwie auch sehr mutig.

Alexander Lonquich: Ja, mit diesen Klavierstücken bricht Schönberg auf sehr radikale Weise mit der Tonalität. Das ist nicht jedermanns Sache. Bis heute nicht.

PIANONews: Kann es sein, dass der Casagrande-Wettbewerb für Ihr ganzes Leben von prägender Bedeutung war?

Alexander Lonquich: Das kann man so sagen. Ich habe danach sehr viel in Italien konzertiert, habe dort auch geheiratet, und es ist später meine Heimat geworden. Mein Leben hat sich dann vorwiegend in Italien abgespielt.

PIANONews: Im Internet kursieren Videos, die einen kleinen Einblick in Ihr Leben gewähren. Es gibt da zum Beispiel einige Interviews – auf Italienisch natürlich – und eine ganze Reihe von Konzert-Videos mit und ohne Orchester. Und wenn man dann diese schönen Gebäude und Konzertsäle, zum Beispiel das von Mantua, sieht, dann versteht man natürlich sofort, wieso es Ihnen da so gut gefällt.

Alexander Lonquich: Ja, wobei gerade das Orchestra da Camera di Mantova für mich von Anfang an sehr wichtig war. Es gab ja damals nur wenige gute Orchester, und das Orchestra da Camera di Mantova war eines der besten und progressivsten. Ich glaube, wir sind 1986 zum ersten Mal zusammengekommen. Der Dirigent war damals Umberto Benedetti-Michelangeli, das ist der Neffe von Arturo Benedetti-Michelangeli. Danach bin ich ganz von alleine auf die Idee gekommen, Klavierspielen und Dirigieren miteinander zu verbinden. Das habe ich ganz systematisch gemacht. Wir haben zum Beispiel alle Konzerte von Mozart und Beethoven oder auch von Chopin und Schostakowitsch aufgeführt. Zudem haben wir in den letzten Jahren ein Festival gegründet, das einmal im Jahr stattfindet, immer Anfang Juli. Es nennt sich Drame sonore, was man mit Klangerzählung übersetzen könnte. Da kommen zwei- bis dreihundert Musiker an verschiedenen Spielorten, zum Beispiel dem wunderbaren Palazzo ducale, zusammen, und dann spielen wir von morgens bis abends.

PIANONews: Das sind natürlich ideale Bedingungen. Sie arbeiten nun schon seit einigen Jahren mit dem Orchester zusammen und können auch einige Einspielungen vorweisen. In dieser Zeit haben Sie sich gemeinsam weiterentwickelt. Wie würden Sie diese Entwicklung beschreiben?

Historische Aufführungspraxis

Alexander Lonquich: Die Musiker haben sich alle in Richtung historische Aufführungspraxis entwickelt. Das haben die alle mitgemacht.

PIANONews: In dieser Materie mussten Sie sich vermutlich aber auch erst einarbeiten.

Alexander Lonquich: Das stimmt. Ich kam ja aus einem Kreis, in dem das alles nichts galt. Dann habe ich mir die Monteverdi-Aufnahmen von Nicolaus Harnoncourt geholt und war plötzlich auf der anderen Seite. [lacht] Nun muss ich allerdings sagen, dass mein Lehrer Paul Badura-Skoda, bei dem ich von 1976 bis 1980 war, auch immer auf dem Hammerflügel spielte. Über ihn bekam ich ja schon alles mit, also wie man Partituren lesen sollte, und dass man selbst dem Urtext nicht trauen sollte. Und dann konnte ich bei ihm natürlich auch das Spielen auf dem Hammerflügel ausprobieren.

PIANONews: Aber Aufnahmen mit Hammerflügel gibt es von ihnen nicht viele. Bei ihrer Aufnahme sämtlicher Werke für Cello und Klavier von Beethoven mit Nicolas Altstaedt kam ein Hammerklavier zum Einsatz. Aber sonst?

Alexander Lonquich: [lacht] Doch. Es gibt einen Mitschnitt vom Klavierfestival Ruhr 2006, wo ich Beethovens „Hammerklaviersonate“ auf einem modernen Flügel und die Beethoven-Sonate Op. 7 auf einem Hammerflügel spiele. Aber ich habe es auch daneben relativ häufig gemacht. In Italien habe ich in mehreren Konzertzyklen an je einem Abend zwischen den Instrumenten gewechselt: Ein Teil war dem modernen, ein anderer Teil dem historischen Instrument gewidmet. Auf diese Weise wollte ich dem Publikum den Unterschied zwischen den Instrumenten nahebringen.

Das ganze Interview mit Alexander Lonquich lesen Sie in PIANONews 2-2024.

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