Pianonews 03 / 2015
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Eigenwilliger Freigeist
Zum 100. Geburtstag von
Svjatoslav Richter
Von: Robert Nemecek
Musik und Welt auf eigene Faust entdecken
Der Grundstein zu Richters nonkonformistischer Haltung wurde bereits in seiner Kindheit gelegt. Die verbrachte er teils in seiner Geburtsstadt Schitomir, teils in Odessa, wohin die Familie Richter 1917 zog. Vater Theophil Danilowitsch Richter, ein begabter Komponist und Pianist deutscher Ab-stammung, hatte dort eine Stelle als Dozent für Klavier am Konservatorium bekommen und wirkte zudem als Kantor und Organist an einer Kirche. Mutter Anna kam aus einer russischen Kaufmannsfamilie und war ebenfalls eine gute Pianistin.
Für den Sohn scheint es eine glückliche, unbeschwerte Zeit gewesen zu sein. Die Eltern ließen ihrem einzigen Kind alle Freiheit der Welt, um sich weiterzuentwickeln. Svjatoslav interessierte sich in jener Zeit vor allem für Literatur. Er las Racine, Gogol, Rimbaud und Shakespeare. Die Musik spielte noch kaum eine Rolle. Der Sohn lauschte dem Spiel des Vaters und machte mit ihm ein paar Übungen, was aber zu keinem nennenswerten Erfolg führte. Deshalb überließ Vater Theophil die Basisarbeit einer tschechischen Harfenistin, die Svjatoslav auch das Notenlesen beibrachte. Den Rest erledigte dieser selbst. Noch lieber studierte er aber die Klavierauszüge von berühmten Opern: Wagner, Verdi, Mascagni und Puccini. Alles, was mit Druck und Zwang verbunden war, machte er einfach nicht. Einmal blieb er der Schule ganze zehn Tage fern, um Odessa zu erkunden. „Ich wollte die Welt entdecken, aber auf eigene Faust“, gab er später gegenüber seinem Biografen Bruno Monsaingeon zu Protokoll. Diese Einstellung sollte Richter sein ganzes langes Leben lang behalten.
In den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts rückte das Klavier zunehmend ins Zentrum von Richters junger Existenz. Im Rahmen eines Hauskonzertes bei den acht Schwestern Semjonow führte er das Schumann-Konzert auf, wobei er den Orchesterpart gleich mitspielte. Damals sei ihm klar geworden, dass er Pianist werden wolle, hat sich Richter später erinnert. Zunächst sammelte er aber bei den verschiedensten Gelegenheiten Erfahrungen: als Begleiter bei kleinen Konzerten, Balletten und sogar im Zirkus. Seine Fähigkeit, auch Schwieriges vom Blatt spielen zu können, kam ihm dabei zu Hilfe. Denn Proben gab es keine. Am Ende kam dabei immer ein kleiner Verdienst heraus, sei es in barer Münze, sei es in Naturalien. Als sein Vater an der Oper von Odessa eine Organistenstelle annahm, engagierte man kurz darauf seinen Sohn als Ballett-Korrepetitor, später dann als Korrepetitor der Opernchöre. „Die Oper war letztendlich die Grundlage meiner Bildung“, so Richter. Im Umkehrschluss heißt das aber, dass die Klavierliteratur in dieser für einen jungen Pianisten so wichtigen Zeit zwischen Jugend und Erwachsenenalter kaum eine Rolle gespielt hat. Mit Ausnahme zweier Komponisten: dem schon erwähnten Schumann und Chopin. Die vierte Ballade des Polen hatte es ihm so angetan, dass er sie im Eiltempo lernte und ein ganzes, anspruchsvolles Chopin-Programm noch dazu. In einem Konzert vom 19. März 1934 – Richter war 19 – stellte er es im „Club der Ingenieure“ von Odessa dem interessierten Publikum vor. Ein wirklich gelungenes Debüt war es wohl eher nicht. Aber es war sein Konzert, und das allein zählte.
Ein genialer Musiker
Richter hatte das Programm seines ersten öffentlichen Klavierabends ganz alleine einstudiert, und drei Jahre später hatte er noch immer keinen Lehrer. Freunde rieten ihm deshalb, bei Heinrich Neuhaus, dem berühmten Klavierpädagogen am Moskauer Tschaikowsky-Konservatorium, Unterricht zu nehmen. Außerdem würde er so dem drohenden Wehrdienst entkommen. Als Richter Neuhaus vorgestellt wurde, war dieser nicht wenig erstaunt über die Tatsache, dass der Neuankömmling, der da ans berühmteste Konservatorium Russlands wollte, noch nie eine solide musikalische Ausbildung erhalten hatte. Neuhaus’ vielzitierte Beschreibung dieser epochalen Begegnung darf hier nicht fehlen: „Ich war neugierig, diesen Tollkühnen kennenzulernen. So kam er, ein großer, schlanker junger Mann, blond, blauäugig, mit einem munteren und erstaunlich reizvollen Gesicht. Er setzte sich an den Flügel, legte seine großen, biegsamen, nervösen Hände auf die Tastatur und begann zu spielen. […] Ich flüsterte einem Schüler zu: ‚Ich glaube, das ist ein genialer Musiker.‘“ Und den wollte Neuhaus unbedingt in seiner Klasse haben, zu der auch Emil Gilels gehörte. Richter musste sich nicht einmal einer offiziellen Aufnahmeprüfung unterziehen.
Den vollständigen großen Artikel lesen Sie in Ausgabe 3-2015 von PIANONews.