Pianonews 01 / 2010

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Musik aus der inneren Stimme

David Fray

Von: Carsten Dürer


Er wirkt nicht wirklich scheu, aber so richtig viel Spaß scheinen ihm momentan Interviews nicht zu machen. Der 29-jährige Franzose David Fray hat in den vergangenen Jahren einen beachtlichen Karrieresprung gemacht, zu dem ihm auch seine mittlerweile drei bei Virgin Classics produzierten CDs verhalfen. Doch welch eine Art von Pianist ist dieser David Fray eigentlich, der in seinem Manierismus eine ganz eigene Art von Interpretationsdenken zu entwickeln scheint, der aufmerksam seinem Gegenüber in die Augen schaut, aufmerksam, aber auch immer lauernd wie eine Raubkatze, wenn ihm etwas nicht gefällt. Denn – so hat man das Gefühl – wenn er schon über sich und seine Ansichten reden muss, dann will er seinen Standpunkt so deutlich machen, dass es keine Fragen mehr gibt.


Mit seinem langen Haar und seinem markanten, aber immer noch jugendlichen Gesicht wirkt David Fray wie ein Vorzeigemodell bestimmter Bekleidungs-Designer. Zart und zerbrechlich wirkt er – aber nur auf den ersten Blick, denn er ist eher drahtig. Als ich mich mit ihm zum Mittagessen hinsetze, nachdem er soeben eine Probe hinter sich gebracht hat, schaut er mich erwartungsvoll an. Als ich ihn frage, ob er in der letzten Zeit sehr viele Interviews hinter sich gebracht hat, macht er nur eine wegwerfende Geste und sagt: „Lassen Sie uns anfangen.“ Er ist keiner, mit dem man erst warmwerdende Worte wechselt, da man ihn persönlich zum ersten Mal im Leben trifft. Er scheint seinen Job machen zu wollen, um dann wieder in seine eigene Gedankenwelt zurückkehren zu können.
Wann überhaupt begann David Fray, sich mit seinem Instrument, dem Klavier, zu beschäftigen? „Ich war vier Jahre alt. Meine Eltern entschieden, dass ich Klavier spielen solle, wie sie es schon bei meinem älteren Bruder getan hatten, der vier Jahre älter ist. Als ich begann, war er acht Jahre, ich also vier Jahre alt. Das Ungewöhnliche war, wie wichtig es für mich wurde. Das war etwas, was meine Eltern nicht erwartet und vielleicht auch gar nicht gewollt haben.“ Irgendwann kam er dann zu dem bekannten Pianisten und Pädagogen Jacques Rouvier, der seit langem am Conservatoire in Paris unterrichtet und schon etliche Studenten aus Frankreich und anderen Ländern zu berühmten Pianisten heranbildete. „Ich traf ihn das erste Mal, als ich 13 oder 14 Jahre alt war. Ich schloss dann meine Studien 2004 ab, als ich 23 Jahre alt war. So habe ich ungefähr 10 Jahre bei ihm studiert.“ Kammermusik studierte er bei Christian Ivaldi und dann bei Claire Desért. Eine rein französische Garde an Pianisten, die seine Ausbildung – neben Einflüssen von Meisterkursen mit anderen Lehrern – vollzogen. War sich Fray jemals bewusst, dass es eine Art von französischer Klavier-Tradition gab, und dass er ein Teil dieser ist? „Ich denke, dass es zwei Zweige von Klavierschulen in Frankreich gibt. Die eine kommt von Marguerite Long, die sehr leicht, virtuos und vielleicht ein bisschen oberflächlich ist. Die andere kommt von Pianisten wie Cortot und Samson Francoise, die auch sehr viel deutsche Musik gespielt haben, und dies auf eine vollkommen andere Art und Weise. Dies kam vor allem dadurch, wie sie ihren Körper einsetzten. Marguerite Long war etwas kühl, sie benutzte nur die Finger. Cortot und Francoise haben im Spiel ihren gesamten Körper benutzt. So war es eine moderne Technik. Aber ich selbst habe mich nie als Teil einer französischen Tradition gefühlt. Auch wenn man Rouvier als französischen Pianisten bezeichnen kann, dann muss man einmal schauen, welche Art Musik er spielt, welche Art von Klang er hat und wie er phrasiert.“ Das Wichtigste, so sagt Fray, was bei Rouvier im Unterricht zur Sprache kam, war, dass man die Technik niemals von der Musik trennen solle: „Man soll immer daran denken, dass die Technik direkt mit der Musik verbunden ist und ihr zu dienen hat. Wenn man also einen musikalischen Weg sucht und ihn findet, dann findet man auch gleichzeitig eine Lösung für eine technische Umsetzung. Und auch die richtige Position des Körpers, die Ausnutzung des Gewichts aller Körperteile. Wenn man also eine präzise Idee des Klangs und des Stils hat, den man hervorbringen möchte, dann wird man auch – vielleicht nach einer Weile erst – die richtige technische Lösung finden. Und das war sicherlich die beste Anweisung, die ich je hatte.“

Klavierwettbewerbe

Nun ist Jacques Rouvier auch dafür bekannt, dass zahlreiche seiner Studenten an Klavierwettbewerben teilnehmen. Er unterbricht mich sofort: „Nein, Jacques Rouvier war ein Lehrer, der seinen Studenten auch immer sagte, dass sie nicht zu früh zu Wettbewerben gehen sollten, da sie noch nicht fertig dafür sind. Man solle vielmehr das Klavier und die Musik studieren, und auch am Leben selbst wachsen. Er war sich immer bewusst über die Verbindung zwischen deiner musikalischen Entwicklung und der als menschliches Wesen. Das bedeutet nun nicht, dass er auch über Persönliches sprach. Aber er fühlte sehr genau, was möglich war und was nicht. Manchmal kamen natürlich Studenten im Alter von 16 oder 17 Jahren in seine Klasse und sagten: Ich will am Chopin-Wettbewerb teilnehmen. Aber man muss sich auch eines klarmachen, denn in der Welt der Klavierwettbewerbe gibt es einige Mysterien“, ein Anflug von Lächeln wandert über sein ansonsten die gesamte Zeit sehr ernstes Gesicht, „wenn man also – aus welchen Gründen auch immer, solch einen Wettbewerb gewinnt – was passiert dann? Man hat kein Repertoire, die Beziehung zum Instrument ist noch nicht wirklich stabil. Und dennoch muss man all die Anforderungen erfüllen, die man eingegangen ist. Ist das eine gute Idee?“ Wenn man sich also auf einen Wettbewerb vorbereitet, dann muss man auch auf das Verlieren vorbereitet sein, aber vor allem darauf, ihn zu gewinnen, sagt David Fray. Er wirkt für sein Alter bereits sehr weise, sehr überlegen und vor allem sehr ernst. „Mir ist es wirklich wichtig, dass man versteht, dass die künstlerische Entwicklung nicht verbunden ist mit dem Gewinn von Preisen bei Wettbewerben. Es geht nur um die Musik, um das, wie man sich entwickeln will. Alles andere ist sekundär.“ David Fray hat an zwei Wettbewerben teilgenommen, in Hamamatsu und in Montreal, das war es für ihn. „Nach dem Wettbewerb in Montreal erkannte ich, dass diese Wettbewerbe mir das gebracht haben, was sie imstande sind, mir einzubringen. Man kann von Wettbewerben nicht viel erwarten, denn man schüttelt einen Baum und es fallen 20 Preisgewinner herab. Heutzutage hat ein Gewinn eines Wettbewerbs keine Bedeutung mehr.“
Sein Rat wäre, an höchstens zwei oder drei Wettbewerben teilzunehmen und jeden sehr sorgfältig vorzubereiten. Wenn einen dies nicht weiterbringt, dann sollte man aufhören und sich in andere Richtungen orientieren. „Ich denke nicht, dass sich ein Musiker für einen Wettbewerb so vorbereitet wie für ein Konzert. Es gibt nicht diese Ziele und Erwartungen, denn wir alle wissen, wie Wettbewerbe ablaufen. Wenn man also ein Künstler ist, dann hat man niemals wirklich Klavierwettbewerbe in seinem Kopf.“

Programmatik der Aufnahmen

Die erste Einspielung, die David Fray vorlegte, war eine Mischung aus Bach und Boulez. Was war die Idee dahinter, die er bei so unterschiedlichen Komponisten verfolgte? „Als ich noch Student im Conservatoire war, entschied ich mich, ein Stück von Boulez zu studieren. Und dann lernte ich die ‚Notations’. So viel zu Boulez, dessen Musik ich zu mögen begann. In diesem Projekt der ersten CD gab es mehrere Ideen, die ich verwirklichen wollte. Zuerst einmal war es meine erste CD für Virgin Classics. Und ich wollte zeigen, dass mein Repertoire nicht das restriktive Repertoire des 19. Jahrhunderts ist, das wichtigste für das Klavier überhaupt. Mir schwebte das Tasteninstrumenten-Repertoire vor. Ich wollte aufzeigen, wie ich über das Instrument denke. Zudem wollte ich zeigen, wie sehr ich mich um diese zwei Pole von Interpretation kümmere. Der erste betrifft die Nationalität und der zweite die Emotionen, beides wollte ich zusammenbringen. Beide, Bach und Boulez, haben sich in ihren Werken ja anscheinend sehr mit Mathematik beschäftigt, in Bezug auf die Struktur – eine rationale Art des Komponierens. Aber letztendlich ist das Ziel der Ausdruck der Gefühle. Und mein Ziel als Künstler ist es, die mentale Ebene und die innere Ebene des Herzens auszudrücken.“ Bedeutet dies für David Fray, dass er in bestimmten Werken mehr Rationalität entdeckt und in anderen mehr Emotionen? Wie beispielsweise in der Musik von Chopin, in der man vielleicht mehr Gefühlsausdruck finden kann als Rationalität? „Nein, das war nicht das, was ich sagen wollte, dass einige Musik mehr intellektuell ist als andere. Denn es ist doch so: Auch wenn man Rachmaninow oder Chopin spielt, dann ist es nicht allein verbunden mit dem Instrument, sondern mit der mentalen Idee, die man dazu hat. Die richtigen Ideen kommen nicht durch das Instrument, das diese Ideen zu jedem, der es spielt, weitergibt. Die Ebene, die einen andersartig und vielleicht auch interessanter werden lässt, ist eine andere: Wenn man isst, wenn man spazieren geht, dann denkt man darüber nach, immer und immer wieder über diese Werke. Und dann hat man plötzlich die richtige Idee, wie man das Werk ausdrücken will. Und dann kommen diese Ideen wirklich aus einem selbst heraus, aus der eigenen Sensibilität, nicht aus dem, was das Instrument selbst imstande ist zu offenbaren. Das Instrument ist nicht das Zentrale und ich selbst bin es auch nicht, es sind nur Medien, um nur die Musik auszudrücken. Es sind Teile, die Konzeption zum Leben zu bringen.“
Selten trifft man einen Künstler in David Frays Alter, der so losgelöst von den Gedanken an das Instrument, so verinnerlicht mit den emotionalen Ideen, die man ausdrücken will, Musik macht. Doch muss man dann nicht schon sehr weit sein, um das Instrument nur noch als Medium anzusehen, gerade in technischer Hinsicht? „Paradoxerweise entwickelt man sich auf diese Weise ja auch in technischer Hinsicht. Ab einem bestimmten Moment lässt einen die Musik selbst sich auch in technischer Hinsicht entwickeln. Wenn man anfängt, auf das zu hören, was man spielt, auf die Klangfarben achtet, auf die Polyphonie und den Plan des Klangs, die Gleichmäßigkeit des Anschlags, in diesem Moment ist es wirklich Technik. Technik bedeutet nicht, eine Chopin-Etüde sehr schnell zu spielen. Für mich bedeutet Virtuosität nicht eine gute Technik, sondern ich verstehe den Begriff im Sinne des 19. Jahrhunderts. Cortot war für mich ein Virtuose. Auch wenn es da falsche Noten sind, ist die Aussage grandios. Und wenn da falsche Noten gibt, dann zeigt es nur, wie man seine Prioritäten setzt. Wenn die Priorität Musik ist, dann ist eine falsche Note nicht mehr wichtig.“
Natürlich versucht David Fray aus der Sicht heutiger Anforderungen perfekt zu sein, keine falschen Noten zu spielen. Aber dennoch geht er dieses Risiko ein, wenn die musikalische Aussage für ihn stimmt. Diese Sicht hat sich bei ihm auch verändert, gibt er zu, denn als Student regte er sich noch über falsche Noten auf, mittlerweile versucht er seine musikalischen Ideen zu realisieren. Und das ist das Einzige, was im Vordergrund steht.

Bach-Konzerte

Während die erste CD mit Werken von Bach und Boulez in Besprechungen positive Resonanz erfuhr, war es die zweite CD, mit der David Fray endgültig auf sich aufmerksam machte. Mit der Einspielung von Bach’schen Klavierkonzerten war er plötzlich in aller Munde, wohl auch, da der renommierte Musikfilmemacher Bruno Monsaigenon eine Dokumentation über die Arbeit und die Einspielung dieser Konzerte drehte, die als DVD erschien. Als ich das erste Mal diese Konzerte hörte, war ich verdutzt und auch überrascht, dass der in seiner ersten Aufnahme so überzeugende Fray nun plötzlich eine Klanglichkeit an den Tag legte, wie man sie nach heutigem Kenntnisstand nicht erwartet; mit breitem, ja fast romantisierten Klang kommt sein Spiel daher. Als ich ihm dies sage, ist seine erste Reaktion: „Wenn Sie erlauben, nehme ich das erst einmal als Kompliment, auch wenn es das nicht sein soll.“ Als ich aber nochmals sage, dass es für mich romantisierend klingt, wie er spielt, sagt er schnell: „Damit bin ich nicht einverstanden. Warum? Wenn man heutzutage einen singenden Klang hat und so expressiv spielt, wie man kann, wird automatisch gesagt, dass es ‚romantisch’ ist. Aber so weit ich weiß, hatte das romantische Zeitalter kein Monopol auf Emotionen; die Emotionen waren immer da, auch in der Zeit von Bach. Der Unterschied lag einzig darin, wie man sie ausdrückte. Ich denke, dass ich stilistische Wege nutzte, um Bach zu spielen.“ Er insistiert, dass seine Aussage bei den Bach-Konzerten eine überzeugt emotionale und nicht verklärte Idee wiedergibt. „Wenn man nun an die Zeit denkt, in der die historisierende Wiedergabe der sogenannten Alte-Musik-Praxis aufkam, kann ich nur sagen: Es war interessant, aber für mich war es ein Fehler, zu glauben, dass man mit Authentizität meinte, dass man weiß, wie zu dieser Zeit gespielt wurde. Authentizität ist für mich aber, was die Komponisten sich wünschen würden. Wenn man über Bach, über Mozart, Haydn und natürlich über Beethoven, bei dem wir es genau wissen, liest, dann wissen wir, dass sie überhaupt nicht mit den Instrumenten glücklich waren, die sie zur Verfügung hatten. Und wenn sie die Möglichkeit hatten, dann erweiterten sie immer ihren Klangkörper. Bach in der Matthäus-Passion, wo er zwei Chöre einsetzte, Haydn in seiner ‘Schöpfung’, in der er zwei Orchester benutzte. Sie benutzten also eigentlich immer die Musiker, die sie zur Verfügung hatten. Wenn wir über die Barock-Bewegung sprechen und diese Bewegung an der Realität interessiert ist, dann kann ich nur für mich sagen, diese Realität interessiert mich überhaupt nicht.“
Aber dennoch war diese Bewegung wichtig und hat Einzug in die gesamte musikalische Welt gehalten und Interpreten beeinflusst. So beispielsweise in Bezug auf die Phrasierung. Doch Fray insistiert: „Ja, es war interessant, da man einige Dinge in den Partituren nun besser verstand. Ich sage nicht, dass man es nicht kennen und sich nicht damit beschäftigen sollte. Das Einzige, was ich sage, ist: Wenn man glaubt, dass das, was zuvor gespielt wurde, falsch war, dann ist das nicht richtig. Zu denken, dass man zurückgehen müsse, dann liegt man auch falsch. Das Instrument, um darauf Beethovens ‚Hammerklavier-Sonate’ zu spielen, war zum Zeitpunkt des Entstehens noch nicht erfunden, aber diese Sonate exis-tiert noch. Ich denke, dass die Ideen von Genies und großartigen Komponisten nichts mit diesen Fragen zu tun haben wollten. Diese ganze Debatte über das „auf welchem Instrument“ und „wie“ wurde irgendwann für mich vollkommen uninteressant, da es für mich nicht die Art ist, Musik zu sehen, Musik zu machen. Musik ist eine lebendige Sprache, und so ist die Frage, was die Musik erfordert. Und wenn man nur fragt, was zu der Zeit des Entstehens möglich war, dann ist das uninteressant.“ Die Imagination ist wichtig, gibt er zu und meint, dass es natürlich in beiden Bereichen, auf modernem und auf historische Instrumentarium, gute und schlechte Musiker gibt, die sich durch die fehlende oder vorhandene Imagination über Musik unterscheiden. „In allen Werken gibt es eine zeitlose Wahrheit. Und diese haben wir zu versuchen, zu berühren. Und nicht alles, was drum herum ist.“

Veränderungen

Natürlich, so gibt David Fray zu, verändern sich die einmal für sich gefundenen Wahrheiten beständig. Auch deswegen hält er daran fest, dass Musik eine lebendige Sprache ist. „Da wir das Medium sind, darf das Ziel nicht sein, es persönlich zu gestalten. Natürlich, wenn man ehrlich ist, dann wird eine Interpretation immer sehr persönlich sein. Aber heutzutage ist das Problem, dass es eine gewisse Faulheit darin gibt, anders zu spielen, als so, wie wir es gewohnt sind zu hören. Man sollte aber versuchen so zu spielen, als wäre man wirklich ohne Einflüsse. Natürlich hat man seine Kultur, hat seinen Geschmack, hat seine persönliche Stilistik, die einem im Kopf herumschwebt. Aber, Kultur war niemals ein Moment, das die Art von Interpretation restriktiv behandeln, sondern ausweiten wollte. Das ist vielleicht der Unterschied zwischen mir und einigen Barock-Musikern.“
Wie bereitet sich David Fray auf eine Aufnahme vor? „Nicht anders als auf ein Konzert.“ Wenn er aber neue Werke in sein Repertoire aufnehmen will, dann ist dies ein sehr, sehr langer Prozess, wie er zugibt. „Ich denke lange darüber nach, welche Werke ich spielen will. Für Jahre und Jahre. Ich habe die ‚Hammerklavier-Sonate’ auf meinem Klavier seit 10 Jahren liegen. Ich begann sie zu üben und – ich werde warten. Auch mit der ‚Waldstein-Sonate’ werde ich warten, mit einigen Schumann-Stücken ebenfalls. Es ist wie ein Kleiderschrank, in dem sich alle Kleidungsstücke befinden. Und eines Tages öffnet man ihn und man spürt genau, dass man ein ganz bestimmtes Kleidungsstück anziehen will, ja muss.“ Aber ist es nicht auch wichtig, bevor man ein Werk in sein Repertoire aufnimmt, dass man alles über den Komponisten, seinen gesellschaftlichen Hintergrund, über die Werke, die zeitgleich entstanden und so weiter, dass man all dies wissen muss? „Sie können sich nicht vorstellen, wie viel ich über diese Dinge lese. Aber ich will nicht, dass die Menschen spüren, dass ich dies getan habe, nicht wenn ich diese Musik lebendig darstellen will.“ Aber das Hintergrundwissen ist schon wichtig? „Es ist immer im Hinterkopf, ja, es ist du selbst, es ist die Grundlage, es ist dein Leben. Und in einem bestimmten Moment nimmt man Teile davon. Und dann hat man eine größere Auswahl, um die richtige Wahl zum richtigen Moment zu treffen.“ Er hört auf eine innere Stimme, was das Repertoire betrifft, er versucht seinen Emotionen zu einem bestimmten Zeitpunkt zu folgen. Dafür versucht er allerdings auch entsprechend vorbereitet zu sein. Daher lässt er sich mit zahllosen Werken sehr viel Zeit. Und das hört man auch in seinem Spiel, das austariert, sinnig und vor allem immer vollkommen persönlich gehalten ist – mag man es nun, oder nicht.
Auch bei Schubert und der Wahl der Stücke, die er nun auf seiner bereits dritten CD gespielt hat, hat es lange gedauert. „Seit ich 16 Jahre alt bin, spiele ich diese Werke“, sagt er. „Dann sagte ich: Es ist nun Zeit. Dann spielte ich ihn erst in Konzerten und dann ging ich damit ins Studio.“ Fünf Tage Zeit hatte er im Studio, ein besonderer Luxus. „Ja, aber ich brauchte nur zweieinhalb Tage“, verrät er und erklärt, „es war viel schneller als erwartet. Ich will mich aber nicht unter Druck setzen, will nicht fühlen, dass ich in einem bestimmten Zeitlimit stecke. Und gerade bei Schubert kann man sich nicht erlauben, ärgerlich über sein Spiel zu werden und es noch einmal und noch einmal zu spielen. Bei Schubert kann man nur stoppen, spazieren gehen und es dann noch einmal am kommenden Tag versuchen.“ Gerade das Thema des Vorwärtsgehens in Schuberts Werken ist wichtig, und das hat Fray grandios gelöst, selbst in Momenten, in denen die Musik fast stehen bleibt, kann er das Gefühl des Vorwärtsschreitens aufrechterhalten. „Ich habe eigentlich alles in vollen Takes eingespielt. Denn ich glaube, Schubert kann man nicht schneiden, in Schuberts Musik gibt es diesen Fluss. Und wenn man diesen Fluss schneidet, dann ist die Musik tot.“
Bei all der Überzeugungskraft, die David Fray im Gespräch aufbringt, bleibt er selbstkritisch, verrät mir, dass auch nach Konzerten die guten Dinge schneller vergessen sind als die Dinge, die er glaubt, besser machen zu müssen. Und dann sagt er: „Manchmal ist dieser Beruf dadurch mehr Leid als Freude.“
Auf die Frage, wie viele Konzerte er mittlerweile spiele, sagt er spontan: „Ich weiß nicht, aber ich denke zu viele. Vielleicht 50. Aber vielleicht kann ich eines Tages ein bisschen weniger spielen, wenn ich freier bin.“
Die Ernsthaftigkeit, die sein Gesicht ausdrückt und die auch aus den Fotos spricht, scheint bei David Fray nicht gekünstelt zu sein. Er ist authentisch und will dies auch sein. Dies ist er allerdings auf eine eigenwillige und sehr konsequente Art. Aber er ist ein Pianist, der eine eigene Aussagekraft hat, die das Publikum zu lieben scheint und mit der er die Zuhörer begeistert, ja berührt. Und genau dies kennzeichnet die besondere Qualität von David Frays Spiel.

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