Pianonews 02 / 2006

"Ich brauche keinen Rachmaninoff ..."

Amir Katz


Von: Carsten Dürer


Er ist 1973 in Israel geboren, erhielt – anders als viele seiner Kollegen – erst mit 11 Jahren den ersten Klavierunterricht und kam nach einigen Jahren nach Deutschland, wo er Student von Elisso Wirssaladze in München wurde. Mehrere Preise bei internationalen Wettbewerben haben ihm dann den Weg auf die Bühnen geebnet, wo er heute in aller Welt auftritt und zu Hause ist. Momentan beschäftigt sich Amir Katz intensiv mit dem Sonatenwerk von Franz Schubert, das er in unterschiedlichen Städten komplett aufführt. Soeben ist zudem eine CD mit Sonaten von Schubert bei SonyBMG erschienen. Wir trafen den Pianisten nach einem Konzert in Düsseldorf, ebenfalls nach einem kompletten Schubert-Abend.
 
 
PIANONews: Sie haben erst im Alter von 11 Jahren das Klavierspiel begonnen. Warum so spät?

Amir Katz: Normalerweise ist es ja so, dass die Eltern wollen, dass das Kind das Klavier zu spielen beginnt. Bei mir war es anders herum: Meine Eltern wollten eigentlich nicht, dass ich Klavier spiele, da sie dachten, ich würde sowieso bald wieder aufhören. Ich aber wollte schon Klavier spielen, als ich sechs war. Daneben hatten meine Eltern nicht viel Geld, und ein Klavier ist ein teures Instrument. Meine Brüder hatten schon vor mir Gitarre und elektrische Orgel begonnen und bald wieder aufgehört. So habe ich mit 10 Jahren auch begonnen auf der Orgel meines Bruders zu spielen. Und dann war meine Mutter bald überzeugt. Im September 1984 haben meine Eltern dann ein Klavier gekauft und ich konnte anfangen.

PIANONews: Dann auch direkt mit einem Unterricht oder erst einmal für sich selbst?

Amir Katz: Nein, direkt mit regulärem Unterricht. An einem Konservatorium in unserer Stadt, die vor Tel Aviv liegt. Ich hatte auch direkt eine gute Lehrerin, Hanna Shalgi, was ein großes Glück für mich war.

PIANONews: Wie lange hatten Sie dann bei ihr Unterricht?

Amir Katz: Fünf Jahre, bis ich 17 Jahre alt war. Dann muss man in Israel drei Jahre zum Militärdienst gehen. Allerdings bin ich nur ein Jahr geblieben und bin dann nach England gegangen und habe dort weiterstudiert. Dann begannen auch bald schon die Wettbewerbsteilnahmen.

PIANONews: Was war das Gute und Besondere an Hanna Shalgi als Lehrerin? Denn – wie es scheint – haben Sie sich ja schnell entwickeln können.

Amir Katz: Das Besondere war, dass sie darauf geachtet hat, dass man sehr gut am Klavier sitzt, dass man ganz entspannt ist, dass die Handposition stimmt – also alles so natürlich wie möglich und alles sehr pianistisch. Dadurch habe ich niemals wirklich technische oder körperliche Probleme bekommen. Zudem wusste sie sehr viel über Stil, war sehr diszipliniert und hat sehr viel verlangt.
Für mich war das sehr gut, denn für mich war es immer das Größte, Klavier zu spielen – ich habe es von Anfang an geliebt, viel Zeit am Klavier zu verbringen.

PIANONews: Gestern im Konzert konnte man deutlich feststellen, als Sie die Sonaten a-Moll D 784, H-Dur D 575 und G-Dur D 894 von Schubert spielten, dass Sie sehr stark aus dem Armgewicht heraus spielen, vollkommen ruhig am Instrument sitzen. So wurden damals vielleicht schon dafür die Grundlagen gelegt?

Amir Katz: Das kann sein. Aber bei den Sonaten, die ich gestern spielte, braucht man einfach weniger Körpereinsatz. Man sollte auch niemals das Werk durch zu viel Körperbewegung inszenieren. Man sollte einfach dasitzen und zuhören, was man da macht, denke ich.

PIANONews: Das ist heutzutage aber doch extrem populär, oder?

Amir Katz: Oh ja, besonders in Wettbewerben. Und natürlich erreicht man – gerade wenn man so viele Pianisten hintereinander hört – schneller einen Eindruck.

PIANONews: Aber wieso sind Sie gerade nach England gegangen?

Amir Katz: Ich wusste ja, dass ich bereits spät mit dem Klavierspiel begonnen hatte. Und so wusste ich auch, dass ich Israel verlassen muss, wenn ich schnell weiterkommen will. Ich wollte andere Kulturen kennen lernen, wollte auch andere Sprachen lernen, da dies mein Hobby ist. Im damaligen Rubinstein-Wettbewerb in Tel Aviv hatte ein Engländer gewonnen, Ian Fountain. Sein Spiel hatte mir damals gut gefallen. Seine Lehrerin Sulamita Aronowsky war damals auch da und sie hat mir dann ein Stipendium besorgt, um bei ihr an der Royal Academy of Music in Manchester zu studieren.

PIANONews: Wie lange lief das Stipendium?

Amir Katz: Zwei Jahre lang. Und in diesen zwei Jahren habe ich auch sehr viel gemacht, habe etliche Wettbewerbe gespielt. Den ersten Wettbewerb, den ich gespielt habe, habe ich auch gewonnen, das war der Maria Canals-Wettbewerb 1993. Zwei Monate später habe ich dann den Cleveland-Wettbewerb gewonnen. Und der Viotti-Wettbewerb kam erst 1997 und der Schubert-Wettbewerb kam erst im Jahr 2004.

PIANONews: Warum entschließt man sich nach so langer Zeit nochmals an einem Wettbewerb teilzunehmen?

Amir Katz: Nun, bei mir lief nicht immer alles ganz glatt. Ich habe mit 19 Wettbewerbe gewonnen, nachdem ich ja nur acht Jahre lang Klavier gespielt habe. Ich hatte zwar gute Lehrer, aber ich war vollkommen unreif. Aber wenn man mit 19 gut Klavier spielt und Wettbewerbe gewinnt, dann wird man stark gefordert. Ich hatte plötzlich 40 bis 50 Konzerte im Jahr, auf der ganzen Welt. Und ich war schnell sehr unzufrieden mit meinem eigenen Spiel. Ich fühlte mich nicht wohl und hatte das Gefühl, ich hasse mein Leben, das Reisen und mein Spiel.

PIANONews: Was war die Konsequenz? Haben Sie eine Pause gemacht?

Amir Katz: Ja, ich habe zwei Jahre lang eine Pause gemacht. Ich habe fast alle Konzerte abgesagt. Es ist ja auch so: Wenn man zuvor keine Konzerte gespielt hat und plötzlich 40 bis 50 Konzerte im Jahr gibt, dann verdient man ja auch gut. Und wenn man jung ist, dann ist auch überall die Presse an einem interessiert, alles ist leichter. Aber ich konnte das, was ich da erreicht hatte, gar nicht schätzen, es hat mich gar nicht interessiert.
Also sagte ich alle Konzerte ab und versuchte herauszufinden, was ich wirklich will. Damals wollte ich mit der Musik wirklich vollkommen aufhören. So dachte ich damals. Heute weiß ich, dass ich ohne die Musik nicht leben kann. Ich war in Paris, wollte leben – was ich auch getan habe [grinst]. Ich wollte ein bisschen nachholen ... Ich hatte keine Pubertät, sondern ich hatte das Klavierspiel. Aber dann wollte ich zurück. Dann habe ich also den Viotti-Wettbewerb gewonnen, was mir nicht viel gebracht hat, außer ein bisschen Geld.

PIANONews: Wie lange haben Sie das Instrument wirklich nicht angefasst?

Amir Katz: Als ich in Paris war, habe ich neun Monate lang nicht geübt. Aber ich habe andere Dinge gemacht, die für die Musik auch wichtig sind, ich habe gelebt. Und ich denke, dass man es hört, wenn jemand nicht gelebt hat und nur die Tasten berührt. Dann traf ich in Paris William Naboré, den Direktor der Internationalen Pianisten-Akademie am Comer See. Er hat mich dann eingeladen, bei ihm am Comer See zu studieren. Er hatte meine CD nach dem Wettbewerb in Cleveland gehört und mich einmal eingeladen, um einen Meisterkurs bei Leon Fleisher mitzumachen. So erhielt ich 1995 die Möglichkeit, in die Musik zurückzukehren, dafür bin ich sehr dankbar. Es dauerte ein wenig, da ich nicht gut gespielt habe. Aber ich begann wieder richtig zu üben und blieb zwei Jahre am Comer See.

PIANONews: Wann sind Sie dann nach München zu Elisso Wirssaladze gekommen?

Amir Katz: Das war im September 1999. Frau Wirssaladze schulde ich sehr viel. Sie hat niemals etwas von mir verlangt, was sie selbst nicht machen kann. Sie hat sehr viel Erfahrung als Pianistin und ist sehr großzügig, um ihre Geheimnisse zu verraten. Sie gibt einfach alles im Unterricht.

PIANONews: Wie war der wirkliche Wiedereinstieg in das Konzertwesen? Gab es noch Konzerte, oder kamen die Veranstalter wieder auf Sie zu?

Amir Katz: Nun, wenn man eine Agentur hat und man hat eine Liste mit Konzerten, die man erfüllen muss, und man geht ganz schlampig damit um, dann hat man Probleme. Ich war nun einmal nicht der einzige Pianist auf der Welt. Aber ich brauchte zwar die Zeit für mich. So war es nicht ganz leicht, aber ich bereue meine Entscheidung von damals auch nicht.

PIANONews: Wann haben Sie Ihr Studium offiziell abgeschlossen?

Amir Katz: Das war 2001. Und dann dachte ich, dass ich mich reif genug fühle. Eigentlich wollte ich keine Wettbewerbe mehr spielen. Aber Schubert war schon immer eine große Liebe von mir. Ich denke auch, dass man für Schuberts Musik recht reif sein muss. Es ist auch kein typischer Wettbewerb, zu dem man geht, um gute Fingertechnik zu zeigen, sondern zu dem man geht, wenn man etwas zu sagen hat. Ich wusste – auch wenn es arrogant klingt –, dass ich dort gewinnen kann, wenn dort eine gute Jury sitzt, weil ich spürte, dass ich etwas mit Schuberts Musik zu sagen habe.

PIANONews: War dieser Schubert-Wettbewerb dann der Startpunkt, um zu sagen, dass man jetzt noch einmal so richtig loslegt?

Amir Katz: Ich würde sagen, dass ich mich zu diesem Zeitpunkt einfach reif gefühlt habe. Der Schubert-Wettbewerb selbst hat natürlich wenige Konzerte nach sich gezogen, aber ich habe eine neue Agentur bekommen. Und dazu kam, dass die alten Kontakte, die ich nach meinen früheren Wettbewerbsgewinnen hatte, nun wieder aufmerksam auf mich wurden und mich eingeladen haben.

PIANONews: Aber Sie hatten doch auch eine CD eingespielt, oder nicht?

Amir Katz: Nun, ich habe an der Hochschule in Israel eine CD eingespielt mit Schumanns „Davidsbündlertänze“ und „Kreisleriana“. Mit dieser Aufnahme war ich allerdings nicht sehr zufrieden, da ich nur wenig Zeit für die Einspielung hatte.

PIANONews: Sie fühlen sich heute nicht mehr als Newcomer?

Amir Katz: Nun, ich würde noch einmal sagen: Ich fühle mich so, dass ich jetzt etwas zu sagen habe. Ich lasse mir mittlerweile auch nur noch von wenigen Menschen über meine Sicht der Dinge etwas sagen. Wissen Sie, die Leute sagen immer, es gibt so viele gute Pianisten – der Meinung bin ich nicht. Es gibt wenige gute Pianisten, das ist ja ein richtiger Begriff. Das hier ist auch nicht der Ort und die Zeit, dies zu diskutieren. Aber ein Pianist ist nicht nur einer, der mit vielen Farben umzugehen weiß und gut spielen kann.
Die Dinge entwickeln sich natürlich und das kann man als Schicksal sehen. Aber auch das Publikum spürt, dass man etwas auszudrücken hat.

PIANONews: Bezieht sich das auf ein breites Repertoire, oder ist das bei Ihnen eingeschränkt?

Amir Katz: Das ist in jedem Fall eingeschränkt, da es viele Repertoirebereiche gibt, die mich weniger interessieren. Ich interessiere mich hauptsächlich für deutsches romantisches und klassisches Repertoire. Ich kann mit diesen Komponisten gut leben, ich brauche keinen Rachmaninoff und keinen Tschaikowsky. Ich denke dabei sehr persönlich – und meine große Liebe ist und heißt Schubert. Ich werde niemals müde von dieser Musik.

PIANONews: Was genau fasziniert Sie so sehr an dieser Musik?

Amir Katz: Ich denke, dass die Welt von Schuberts Musik eine ganz spezielle ist. Sie birgt einen sehr schweren Zugang. Schubert hat diese unmittelbare Art, den Zuhörer und den Spieler zu bewegen, ihn beim Herzen zu greifen. Das ist so, dass es mich manches Mal zu ersticken droht, denn diese Welt von Schubert ist so voll von Gefühlen, und es gibt so viele Nuancen von den feinsten Gefühlen darin. Dabei ist es so schön und schlicht gemacht, ohne diese Prätention zu haben, dass man etwas unbedingt zeigen will. Vielmehr erzählt diese Musik sehr ehrlich von diesen Gefühlen. Und es gibt kein menschliches Gefühl, das man in seiner Musik nicht finden kann.
Und zudem gibt es in Schuberts Musik sehr wenige Noten, doch jede hat – mag sie auch vielfach wiederholt werden – ihre psychologische Absicht. Es ist wie eine spannende Geschichte, in der jede Note ihre dramatische Bedeutung hat. Und Schubert sagt niemals genau dasselbe zwei Mal. Vom Publikum verlangt dies ein intensives und konzentriertes Zuhören.

PIANONews: Nun spielen Sie in dieser Saison mehrfach alle Sonaten Schuberts zyklisch in Städten wie München, Dortmund und Tel Aviv. Überfordert diese monochrome Konzentration auf einen Komponisten wie Schubert das Publikum nicht?

Amir Katz: Ich denke, dass das Publikum heutzutage reif ist, dass man solche Programme spielen kann, ohne dass man am Ende dann noch ein paar Paraphrasen bringt, die das Publikum befriedigen. Ich will niemanden befriedigen, sondern ich habe etwas zu sagen.

PIANONews: Nun haben Sie auch eine CD bei SonyBMG mit Schubert-Sonaten eingespielt.

Amir Katz: Ja, es war eine Koproduktion mit dem Bayerischen Rundfunk. Dort werden die beiden Schubert-Sonaten c-Moll D 958 und a-Moll D 845 zu hören sein.

PIANONews: Vielen Dank für dieses Gespräch.

Die aktuelle CD

Franz Schubert Sonaten D 845 & 958
Sony/BMG 82876782172
www.bmgclassics.de

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