Pianonews 01 / 2013

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„Ich bin wie die Musik, die ich gerade spiele.“

Nikolai Lugansky

Von: Isabel Herzfeld

Seine Lehrerin Tatjana Nikolayewa prophezeite ihm einen Platz an der Seite der großen Pianisten der „Russischen Schule“ vom Schlage eines Richter oder Gilels. und als Nikolai Lugansky mit 22 Jahren den Tschaikowsky-Wettbewerb gewann, schien festzustehen, dass er in die oberste Riege der weltweit führenden Virtuosen aufsteigen würde. In den achtzehn Jahren, die seitdem vergangen sind, schlug Lugansky dennoch seinen ganz eigenen Weg ein. Weder Kraftmeier noch Exzentriker, taugte er dann doch nicht für das ganz große Geschäft, präsentierte er sich vielmehr als Künstler von hohem Verantwortungsbewusstsein ganz im Dienst der Musik. Wie sein Spiel stupende Virtuosität und tieflotende Empfindsamkeit vereint, so fasziniert seine Persönlichkeit durch eine eigenartige Mischung von Bescheidenheit und Selbstbewusstsein. Die Seele seines oft als zu leichtgewichtig befundenen Lieblingskomponisten Sergej Rachmaninow, dessen Sonaten er soeben einspielte, versteht er damit wie kein anderer. Das Treffen mit Lugansky fand in Berlin statt, wo er – natürlich! – mit dem berühmten „Rach 3“ gastierte und eine neue Chopin-CD vorbereitete.


Im Haus des Rundfunks an der Masurenallee tritt mir ein schlanker, hochgewachsener Mann entgegen, dessen Alter schwer zu bestimmen ist – Lugansky ist vierzig, doch er wirkt jugendlich und gereift zugleich. Er entpuppt sich als Gesprächspartner alter Schule, angenehm und kultiviert, ist galant beim Aussteigen aus dem uralten Paternoster behilflich, sorgt für Getränke und bequeme Sitzgelegenheiten. Vor allem nimmt er sich alle Zeit der Welt, strahlt nichts von der von Probe zu Konzert gehetzten Geschäftigkeit so mancher „gefragter“ Virtuosen aus. Selbst zu einem kurzen zweiten Gespräch nach der Probe am nächsten Tag ist er bereit – und es passt zu seiner Effektivität, dass er es ganz kurzfristig eine Viertelstunde eher ansetzt, weil man doch ein bisschen schneller spielte als angenommen.


Ausbildung in Moskau

Der Sohn zweier Moskauer Wissenschaftler, der sich so ganz dem romantischen Repertoire verschrieben hat, ist durchaus nicht verträumt oder versponnen, sondern rational und praktisch. Nichts Geheimnisvolles weht um seine Begabung, vieles war Zufall oder Glück – damit vielleicht wieder Bestimmung. Per Zufall wurde sein Talent entdeckt: „Mein Vater spielte manchmal zur Entspannung Klavier, und ich konnte ihm sagen, wenn etwas falsch war. Dadurch kam heraus, dass ich das absolute Gehör hatte.“ Es war wieder Zufall und Glück, dass die Eltern, die sich als Studenten an der Moskauer Universität kennengelernt hatten, eine Wohnung in der Stadt beziehen konnten: „Heute kann man das bei einem kleinen oder mittleren Einkommen nicht mehr bezahlen. Und es muss cash sein, ein Kreditsystem mit bezahlbaren Zinsen gibt es nicht.“ Mit sieben Jahren kam Nikolai in den Genuss des sowjetischen Musikerziehungssystems, an der Zentralschule für Musik in Moskau. Im Gespräch wird er nicht müde, das Niveau dieser Ausbildung zu rühmen. Für ihn ist es, bei aller Differenzierung und Skepsis, die größte Errungenschaft der sowjetischen Epoche. „Die beste Ausbildung weltweit war vielleicht in Moskau. Die Idee der zentralen Musikschule kam von Alexander Goldenweiser, und die staatliche Unterstützung war unglaublich. Der Unterricht war gratis, und für die talentierten Kinder des ganzen Landes gab es ein Internat, in dem sie ihre ganze schulische Ausbildung zusammen mit dem Musikunterricht erhalten konnten.“ Und sofort kommt er auf die heutigen Probleme zu sprechen: „Die Ausgaben für Kultur sind unglaublich zurückgegangen. In Moskau ist das mittlere Niveau vielleicht noch gut, aber wenn ich durch Russland reise und zum Beispiel ein Jungen, aus einem Dorf oder einer kleinen Stadt für mich spielt, der Talent und Leidenschaft für die Musik hat, dann muss ich trotzdem sagen, dass er keine Chance mehr hat. Heute entsteht vielleicht eine große Tradition in China. Noch vor zehn Jahren konnten die Europäer darüber lächeln, doch das Lächeln ist schon längst vorbei.“
Dabei wurde Lugansky alles andere als „auf Virtuose“ getrimmt. „Meine erste Lehrerin war Tatjana Kestner, schon sehr alt, sie konnte fast nichts mehr sehen, aber was konnte sie alles verstehen! Sie war sehr konservativ und hat immer sehr auf mein Repertoire geachtet. Das 1. Klavierkonzert von Tschaikowsky oder die Études tableaux von Rachmaninow, die häufig viel zu früh studiert werden, durfte ich nicht spielen, sondern Bach, Mozart und natürlich viele instruktive Literatur, wie von Czerny.“ Erstaunlicherweise behauptet der Pianist jedoch, dessen glasklare, filigrane und beängstigend zuverlässige Technik
überall gerühmt wird, nie ein systematisches Technik-Training erhalten zu haben, weder bei Kestner noch bei seiner wichtigsten Lehrerin, Tatjana Nikolayewa. „Ich habe niemals Druck bekommen, von meinen Eltern schon gar nicht, die als Nicht-Musiker ja gar nicht wussten, wie viel Üben für das eine oder andere Stück nötig sein würde. Und am Klavier war alles leicht für mich und auch interessant, Skalen, Arpeggien, und das größte Geschenk, das ich im Alter von fünf Jahren erhielt, waren die Noten. Ich habe sehr schnell Noten lesen gelernt, sie waren für mich interessanter als Märchenbücher, und wenn neue Noten kamen, konnte ich sie einfach aufs Notenpult stellen und spielen. So habe ich immer sehr selbständig gearbeitet, bei Tatjana Nikolayewa sowieso, denn sie konzertierte bis an ihr Lebensende und war unglaublich viel auf Reisen.“

Tatjana Nikolayewa

Sein ganzes künstlerisches Profil, seine Identität als Künstler scheint Lugansky dieser großen Pianistin und Lehrerin zu verdanken. Als Schülerin Alexander Goldenweisers vermittelte sie ihm die große russische Tradition. Immer wieder kommt er im Gespräch auf sie zurück. „Ich war acht oder neun Jahre alt, als ich ihr zum ersten Mal vorgespielt habe, und als ich den Wunsch äußerte, sie möge auch für mich etwas spielen, war das ganz selbstverständlich – ich wollte ihre Klaviertranskription der Toccata und Fuge d-Moll für Orgel von Bach unbedingt hören. Und so war sie, heute kann ich ihr großes Herz noch besser schätzen. Genauso war es mit ihren Konzerten – ob 2000 Leute kamen oder ob sie in einer Provinzstadt für 20 Personen spielte, immer spielte sie mit denselben Emotionen und in derselben Qualität und sah es einfach als ihre Aufgabe an, sie glücklich zu machen.“ Kann man sagen, dass sie ihm eine Art künstlerisches Ethos vermittelt hat? „Ja, unbedingt. Dabei hat sie nie davon gesprochen, einen nie damit beeinflusst. Sie war wirklich aufopfernd. Wenn sie von langen Konzertreisen zurückkam, kamen sofort Schüler zu ihr nach Hause. Ich war einmal lange bei ihr, bis neun Uhr abends, und als ich gehen wollte, sagte sie, oh, jetzt kann ich selbst mein neues Programm üben. Da habe ich verstanden, dass das Unterrichten auch ein Opfer für sie war. Sie war eine unglaublich positive Person, was es in Russland nicht oft gibt. Alles, was sie tat, war eine Freude, ob sie neue Schüler unterrichtete oder im Examen saß. Von ihren Auslandsreisen brachte sie unzählige Schallplatten, CDs und Videos für ihre Schüler mit, das war für uns unschätzbar, weil wir ja doch abgeschnitten waren vom westlichen Kulturleben. Auf diese Weise habe ich zum ersten Mal Glenn Gould oder Vlado Perlemuter gehört. Sie hat wirklich viel für uns getan. Und so war ich glücklich, als ich zum ersten Mal nach Frankreich kam und später nach Japan, dass ich ihr Sinfonien von Sibelius und von Bruckner mitbringen konnte, etwas, was sie noch nicht kannte.“ Worin aber lagen die musikalischen Qualitäten dieser Lehrerin? „Sie ließ mich sehr viel Bach spielen, sie vermittelte mir das Singen der Stimmen, die große Linie und die lebendige Polyphonie. Sie war ja selbst eine der größten Bach-Spielerinnen. So habe ich ja auch mit 16 Jahren die Silbermedaille im Bach-Wettbewerb in Leipzig gewonnen. Aber allgemein hatte sie eben diesen weiten Horizont, diese Vorurteilslosigkeit und Offenheit allem Neuen gegenüber. Ein so breites Repertoire wie sie hatte in der Sowjetunion nur Richter. Als Erste hat sie in der Sowjetunion Bartók gespielt, sie spielte die Sonate von Dutilleux, sie führte die 24 Präludien und Fugen von Schostakowitsch auf, die für sie geschrieben wurden. Von den 48 Präludien und Fugen von Bach, den 32 Sonaten von Beethoven, mit denen sie auf Tournee ging, zu schweigen, neben einer Menge russischer Literatur, so alle vier Klavierkonzerte von Rachmaninow.“

Repertoire

Luganskys eigenes Repertoire wirkt eher schmal, Rachmaninow steht im Zentrum, Chopin, Mozart und Schumann gehören zu seinen Favoriten. ...

Das komplette Porträt können Sie in Ausgabe 1-2013 von PIANONews lesen.
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