Pianonews 01 / 2007

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Mit Fantasie(n) zum Aufstieg

Evgenia Rubinova


Von: Carsten Dürer


Beim Internationalen Klavierwettbewerb in Leeds, einem der vielleicht renommiertesten Wettbewerbe weltweit, gewann die junge russische Pianistin Evgenia Rubinova im Jahre 2003 den zweiten Platz. Kein Großereignis, so möchte man meinen, wenn es um die zahllosen Wettbewerbsgewinner in der Welt geht. Im Frühjahr 2004 trafen wir uns erstmals mit der sympathischen jungen Pianistin, um mit ihr, ihrem Lehrer Lev Natochenny und ihrem Mitstudenten Martin Stadtfeld über die Chancen von Wettbewerbsgewinnern zu diskutieren (s. PIANONews 2-2004). Seither allerdings hat sich das Leben von Evgenia Rubinova deutlich verändert, hat sie eine Karriere gestartet, die sich sehen lassen kann, und die auf zahlreiche Podien dieser Welt geführt hat. Zudem ist soeben ihre Debüt-CD bei EMI Classics erschienen, auf der sie sich als tief nachdenkliche Pianistin mit Werken von Schumann, Brahms und Chopin präsentiert. Wir trafen uns mit Evgenia Rubinova, um mit ihr über Programmatiken, über Chancen und den Karrierebeginn zu sprechen. Und wir begegneten einer nachdenklichen, sympathischen und selbstkritischen, aber auch selbstbewussten und intelligenten jungen Pianistin, die sich bewusst ist, dass sie mit ihrem Start eine riesige Chance erhalten hat.


PIANONews: Als wir uns das erste Mal trafen, haben Sie gesagt, dass Sie sich bewusst seien, dass ein Wettbewerbsgewinn bei der Flut heutiger Wettbewerbe nicht viel zu sagen hätte. Seither hat sich Ihre Laufbahn aber dennoch sehr geändert. Können Sie uns in groben Zügen sagen, was genau und wie sich die Dinge verändert haben, seit 2004?

Evgenia Rubinova: Ich bin der Meinung, wie ich es damals schon gesagt habe, oder gemeint habe: Es gibt verschiedene Möglichkeiten, eine Karriere anzufangen. Das hat aber nicht immer etwas mit einem Wettbewerb zu tun. Natürlich gibt es zwei oder drei Wettbewerbe, die einem wirklich eine Chance geben, die Türen öffnen. Aber der Künstler muss sich ja dann bestätigen, zeigen, dass er wirklich etwas kann. Die, die wir wirklich kennen, von den vielen Wettbewerbsgewinnern, haben auch solch eine künstlerische Kraft, denke ich. Die anderen kennen wir gar nicht.

PIANONews: Das ist nun recht allgemein gesprochen. Wie war das aber konkret bei Ihnen? Haben Sie durch den Wettbewerb in Leeds wirklich viele Konzerte gespielt?

Evgenia Rubinova: Ja, ich habe wirklich viele Konzerte spielen können. Dies hat natürlich viele neue und weitere Türen für mich geöffnet. Ich habe beispielsweise mit dem London Philharmonic Orchestra gespielt, und durch dieses Konzert habe ich letztendlich auch meinen Vertrag mit EMI Classics erhalten. Der Produzent war im Konzert, es hat ihm gefallen, und so haben wir ganz schnell den Vertrag schließen können [sie lächelt]. Er hatte natürlich schon die Finalaufnahme aus Leeds gehört und war neugierig auf mich. Aber dann ging alles sehr schnell. Mit dieser CD bei EMI habe ich nun natürlich wiederum eine neue Chance erhalten, mich künstlerisch auszudrücken, ein wichtiger Schritt, der wiederum in einer beginnenden Karriere neue Türen öffnen kann. Und ich freue mich jetzt schon auf meine nächste Zusammenarbeit mit EMI.

PIANONews: Die gab es doch schon, mit dem Deutschen Requiem von Brahms für zwei Klaviere, Chor und Solisten, oder?

Evgenia Rubinova: Ja, das war wieder eine neue interessante Erfahrung. Und es war wirklich schwer, den Klang des Orchesters und der Orchesterfarben auf den Flügeln darzustellen, und das hat es natürlich doppelt spannend gemacht. Es bedeutete für mich eine große Erfahrung.

PIANONews: Wenn man über Ihre Konzertdaten schaut, die Sie seit 2004 haben, sieht man leicht, dass es immer mehr werden. Sie haben ja auch ein Management in den USA?

Evgenia Rubinova: Ja, aber ich arbeite nun mit einem deutschen Management, Markus Bröhl, zusammen. Und auch dies ist ja wiederum eine neue Tür, die sich für mich geöffnet hat. Mit dem amerikanischen Management habe ich mittlerweile keinen Vertrag mehr.

PIANONews: Haben Sie denn schon in den USA gespielt?

Evgenia Rubinova: Ja, dort hatte ich zwei kleine Tourneen, um mich vorzustellen.

PIANONews: Sie haben ja keine weiteren Wettbewerbe nach Leeds mehr gespielt. Hat Ihnen der zweite Platz in Leeds ausgereicht?

Evgenia Rubinova: Nun, eigentlich sind die Wettbewerbe ja gar nicht so wichtig, finde ich. Sie eröffnen halt Chancen, und ich habe mich damals schon mit dem zweiten Platz sehr wohl gefühlt und war zufrieden. Mit dem ersten Platz wäre vielleicht einiges leichter gewesen, aber letztendlich hat bei mir ja auch der zweite ausgereicht. Heute stelle ich mich anderen Aufgaben, die mir künstlerisch wichtiger sind.

PIANONews: Ich möchte Sie noch einmal mit einer Aussage vom Frühjahr 2004 von Ihnen konfrontieren: ‚Man muss an sich selbst glauben. Es muss ein 200-prozentiger Glaube an das sein, was man künstlerisch vertreten will. Das ist das Wichtigste, denn nur dann kann man die Zuhörer dazu bewegen, an die Interpretation zu glauben.’ Hat sich an dieser Sicht etwas verändert? Gerade wenn man nun mehr und mehr spielt, und man vielleicht nicht mehr die Zeit hat, die 200 Prozent aufzubringen?

Evgenia Rubinova: Ich stehe immer noch 100-prozentig hinter dieser Aussage. Als Künstler muss man ganz stark an sich glauben. So wie man es sich vorstellt, so muss es auch sein und klingen. Klar, wenn man neue Programme sehr schnell lernen muss, dann sieht es etwas anders aus. Aber mit der Erfahrung, die man beständig gewinnt, geht das.

PIANONews: Aber wenn man sehr viel spielt, dann sagt man ja kein Konzert ab, auch wenn man bemerkt, dass man vielleicht noch keine 200-prozentige Vorbereitung hat und dann vielleicht auch nicht 100-prozentig überzeugen kann.

Evgenia Rubinova: Das ist natürlich sehr schwierig. Aber ich versuche diesen Anspruch immer zu halten. Natürlich gibt es die Tage, bei denen man denkt, dass es hätte noch besser funktionieren können, aber diese Selbstkritik ist ja auch hilfreich, um sich zu verbessern.

PIANONews: Wenn man sich aber so gut wie möglich vorbereitet hat, wie spontan kann man dann noch sein, wie spontan sind Sie dann noch?

Evgenia Rubinova: Man ist ja immer spontan, denn man kommt ja immer in einen neuen Saal, hat es mit einer neuen Atmosphäre zu tun und mit einem neuen Publikum. Die Interpretation kann sich da noch einmal vollkommen verändern. Es ändert sich alles, man spürt andere Farben, andere Facetten. Und genau das liebe ich auch, diese beständige Veränderung.

PIANONews: Aber vieles an den Grundideen bleibt doch, oder? Wie beispielsweise eine Tempoidee eines Satzes ...

Evgenia Rubinova: Oh, gerade das Tempo kann sich gewaltig verändern. Vor allem auch in einer anderen Akustik, auf die man ja eingehen muss. Wenn ich mir beispielsweise selbst angefertigte Aufnahmen eines Werkes von vor zwei Jahren heute anhöre, dann habe ich den Eindruck, dass ich es ganz anders verstehe, viel intensiver erfasse und auch entsprechend anders spiele. Damals dachte ich auch, dass ich es verstanden habe. Aber nachdem ich es immer wieder gespielt habe, so wie beispielsweise bei Rachmaninows ‚Moments Musicaux’. bin ich viel tiefer in die Musik eingetaucht.

PIANONews: Das bestätigt ja Ihre Aussage, dass Sie in dem Moment des Spiels immer 100-prozentig überzeugt sind von dem, was Sie machen.

Evgenia Rubinova: Natürlich, ich weiß aber glücklicherweise auch, dass es sich immer weiter verändern wird, und das ist toll.

PIANONews: Sie betonen immer wieder in Ihren Aussagen, dass Ihr Lehrer Lev Natochenny extrem wichtig für Ihre Entwicklung war. Holen Sie sich eigentlich auch heute, nachdem Sie ja schon viel konzertiert und Ihren Abschluss gemacht haben, Rat bei Ihrem Lehrer?

Evgenia Rubinova: Zurzeit absolviere ich immer noch ein Aufbaustudium zum Konzertexamen, allerdings ist das nicht mehr mit so regelmäßigem Unterricht verbunden. Es wäre unehrlich, wenn ich sagen würde, ich nutze keinen Rat. Ich frage Natochenny oftmals, aber erst, wenn ich mir zuvor meine eigenen Ideen erarbeitet habe. Wenn ich überzeugt bin, was ich dort mache, dann erst frage ich nach seinem Rat. Und wenn es dann wirklich einmal zu einer unterschiedlichen Sicht kommt, muss ich ihn und mich überzeugen, dass ich es richtig mache, wie ich es dann spiele. Aber ich schätze seinen Rat ganz immens. Insgesamt ist das ja aber ein Prozess, dass man ein Werk beständig hinterfragen muss, auch wenn man es noch so oft spielt. Es darf niemals zu einer Routine werden, ein bestimmtes Werk auf der Bühne zu spielen, das ist das Wichtigste. So frage ich immer wieder anhand des Notentextes: Was hat der Komponist eigentlich gemeint, was wollte er ausdrücken, wenn er eine bestimmte Phrase auf diese Weise geschrieben hat?

PIANONews: Wenn man über Ihre Programme schaut, dann sieht man gleich, dass Sie hauptsächlich die große Standardliteratur der Klaviermusik der Klassik und Romantik spielen. Ist das bewusst, oder gibt es hier und da einige Werke abseits der Standardliteratur, die Sie vielleicht auch gerne anbieten würden?

Evgenia Rubinova: Ich spiele zum Glück wirklich nur die Literatur, die ich sehr liebe. Und vielleicht sind es die Perlen der Komponisten, und vielleicht ist es die Standardliteratur, aber mit diesen Werken habe ich mich aus Liebe zu ihnen auch am meisten beschäftigt. Und jedes Jahr versuche ich natürlich neue Werke hinzuzufügen, mindes-tens ein volles Solo-Programm und ein neues Klavierkonzert.

PIANONews: Kommen wir einmal auf Ihre Debüt-CD zu sprechen. Sie haben unter dem Titel „Fantasien“ Werke eingespielt, die mit Brahms Op. 116, mit Chopins „Polonaise Fantasie“ und mit Schumanns „Kreisleriana“ wirklich große Werke der Weltliteratur darstellen. Im Booklet-Text haben Sie viele Fragen gestellt, haben sich Gedanken über Musik und Fantasie gemacht. Haben Sie auch Antworten parat für Ihre Zuhörer?

Evgenia Rubinova: Die Antworten stecken ja in den Fragen. Es gibt keine wirklichen direkten Antworten, sondern es gibt nur Facetten von Aussagen. Was ist Fantasie? Es ist nur eine Reflexion, die ich da anstelle, die ich dann durch Fragestellungen ausgedrückt habe.

PIANONews: Philosophisch gesprochen ist das richtig. Aber auf der Bühne müssen Sie dem Publikum doch Antworten anbieten können.

Evgenia Rubinova: Die Antworten findet der Zuhörer dann nur noch in der Musik, nicht im Wort. Das kann man nicht beschreiben, sondern nur spüren, und sie sind für jeden anders geartet. Hätte ich keine Aussagekraft und dadurch auch eine Antwort für das Publikum, dann würde ich die Werke gar nicht erst spielen.

PIANONews: Auf dieser ersten CD haben Sie ja Werke eingespielt, die sehr häufig eingespielt wurden. Hatten Sie da von Anfang an dieses Programm im Kopf?

Evgenia Rubinova: Also wichtig für mich war vor allem, dass ich Schumanns „Kreisleriana“ einspielen wollte. Dann hat man natürlich geschaut, was man mit diesem Werk verbinden kann, und was sich nicht mit den CD-Programmen anderer junger Pianisten bei EMI überschneidet. Ich hatte Glück, dass ich dieses Programm mit Werken, die ich so sehr liebe, zusammenstellen konnte. Eigentlich wollte ich noch Skrjabin hinzunehmen, aber das wäre dann für eine CD zu lang geworden. Im Konzert nehme ich dann allerdings Skrjabin zu den anderen Werken hinzu, wenn ich das „Fantasien“-Programm spiele.

PIANONews: Hatten Sie niemals Angst, verglichen zu werden, mit diesen bekannten Werken? Als Debütantin auf CD?

Evgenia Rubinova: Natürlich wusste ich, dass ich verglichen werde. Aber das kann jeder gerne tun, davor habe ich keine Angst.

PIANONews: Heutzutage werden ja immens viele CDs eingespielt. Und natürlich ist eine CD für einen jungen Künstler immens wichtig, um aufmerksam auf sich zu machen. Aber wie wichtig ist es Ihnen überhaupt, im Studio etwas aufzunehmen?

Evgenia Rubinova: Ich habe einen ganz tiefen inneren Drang, einige Stücke aufzunehmen. Ich glaube, dass ich wirklich etwas zu sagen habe. Und ich will auch gerne etwas hinterlassen, etwas Bleibendes. Dies ist eine innere Überzeugung und ein tiefer Wunsch. Dabei sind die Konzerte, die Lebendigkeit natürlich immer sehr wichtig. Aber mit den Aufnahmen kann ich viel mehr Menschen erreichen. Das ist mir wichtig.

PIANONews: Vielen Dank für dieses Gespräch.

DIE AKTEULLE CD
Fantasien
Werke von Schumann, Chopin und Brahms
Evgenia Rubinova, Klavier
EMI Classics 3 78207 2

 

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